Die Spiegel brennen

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Es ist der 1. Oktober. Heute vor 62 Jahren wurde die Volksrepublik China gegründet, führte der lange Kampf der Kommunistischen Partei zur Erlangung der Herrschaft im Reich der Mitte. Es ist in der Rückschau der Beginn eines der am längsten währenden kommunistischen Systeme der Welt. Alles soll allen gehören, der Staat überflüssig werden, die Menschen gleich sein.

Es ist der 1. Oktober. Heute ziehen die riesigen Einkaufszentren besonders viele kaufsüchtige Chinesinnen und Chinesen an. Schicke Sportwagen und glänzende Limousinen bahnen sich ihren Weg durch die mit Menschenmassen gefüllten Straßen. Rund um Victoria Habour glitzern die Reklamen von Rolex, Dior, Chanel und den vielen anderen, sündhaft teuren Firmen aus dem Westen.

Es ist der 1. Oktober 2011. Zeit, sich und das Land zu feiern.

Zugegeben, Hong Kong ist nicht China – um ehrlich zu sein fühlt sich China hier noch weiter weg an, als in Deutschland. Mag der Kommunismus in China nicht mehr gepflegt werden und als Ideologie dem Pragmatismus der Eliten gewichen sein – in Hong Kong ist er gänzlich abwesend. Hier wird nicht gekleckert, hier wird geklotzt. Und das in Potenz.

Anders als gewöhnt haben Geschäfte am Nationalfeiertag auf. Viele Geschäfte in den Malls geben großzügige Extra-Rabatte oder versuchen mit anderen Aktionsangeboten die Menschen in ihre Konsumtempel zu locken. Die Luxushotels und ihre Bars sind dieser Tage mit ihrem perfekten Blick auf den Viktoria Habour – der Lebensader zwischen Hong Kong Island und Kowloon – besonders verführerisch. Schon Stunden vor dem Beginn um 21.00 Uhr ziehen Menschenmasse in Richtung Promenade, um sich einen der begehrten Plätze direkt am Wasser oder auf der Freilufttreppe des Cultural Centers mit Oper, Theater und Philharmonie zu sichern. Über 500 000 Menschen wollen sich dieses Event nicht entgehen lassen und nehmen dafür auch Stehzeiten von zwei bis drei Stunden in Kauf. Wie sich im Nachhinein feststellen lässt: Völlig zurecht! Manche verbringen die Stunden bis zum ersten Schuss auf dem Boden sitzend, Karten spielend, unter ihnen nur ein bisschen Zeitung, während rechts und links sich die Menschenmasse in Richtung Wasser schieben und dabei jeden Zwischenraum, der sich neu aus irgendeinem Grund eröffnet einnehmen. Nur kein Menschenvakuum entstehen lassen. Direkt vor uns steht die vergrößerte Nachbildung der Olympia-Fackel für die Olympischen Spiele in Peking. Dort werden heute nur ein paar Kränze niedergelegt, die alte Männergarde des Politbüros läuft über einen – wie könnte es anders sein- roten Teppich – hier wird es nicht so ruhig zugehen, in Hong Kong werden die Spiegel brennen und in 30 Minuten über 30 000 Raketen den Abendhimmel erhellen. So kritisch die Hong Konger die China sehen mögen, diese Möglichkeit lassen sie sich nicht entgehen.

Die Laserschau startet um 20.00 Uhr, wie jeden Abend. Nichts besonders, die Menge erwartet mehr. Unsere Hoffnung, dass viele den Platz verlassen, weil sie denken dies war die Show, bewahrheitet sich nicht. Immer mehr Menschen auf den paar Metern zwischen Wasser und Gebäude. Mit modernen Kameras auf Stativen und grobpixeligen Handykameras, jeder probiert vorher noch mal schnell seine Gerätschaften aus – es soll nicht der Linse entgehen. Ich sage mir selbst, dass ich dieses Feuerwerk genießen will, ohne andauern Fotos und Videos zu machen, doch für diese Umsetzung muss ich wohl noch ein zweites Mal dorthin. Noch eine halbe Stunde stehen, der Rücken tut weh, eine Flasche Wasser wäre nicht schlecht bei 25 Grad am Abend. Oder wenigstens einer dieser Papphocker.

Punkt 21.00 Uhr mit Countdown der Start. Mir fallen wenige Adjektive ein, um dieses Feuerwerk adäquat zu beschreiben: Bombastisch, atemberaubend, sprachlos – das wären wohl einige passende. Nahezu dreißig Minuten Feuer frei zu verschiedenen Themen, unterlegt mit dezenter Musik verschiedener Richtungen. Abgeschossen von vier Spots auf Hong Kong Island war dieses Feuerwerk ein chronische Überforderung der Sinne – im positivsten Sinne überhaupt. Die Raketen wetteiferten mit den Hochhäusern, überflogen doch die meisten, um dann an den spiegelnden Fensterscheiben zu erstrahlen. Wie modernste Fernseher projizierten sie die Leuchtstreifen an die Fassaden, so dass man einer Kulisse aus Farbe, Licht, Feuer und noch mehr Farbe, Licht und Feuer gegenüberstand. Ein Feuerwerk der Superlative, für das allein schon ein Besuch in Hong Kong lohnt.

Umrunden wurde die ganze Veranstaltung – dies soll nicht unerwähnt bleiben – von der perfekten Organisation durch die Polizei, Stadt und MTR. Trotz der Menschenmassen kam nie größere Verwirrung auf, Wege waren klar ausgezeichnet, Straßen wie die sonst von Doppeldeckerbussen nur so wimmelnde Nathan Road für den Verkehr gesperrt und Polizisten an jeder Straßenkreuzung zur Regelung oder Hilfe postiert.  Und mit dem letzten Funken, der im Nachthimmel erlosch wuselten wieder Duzende von Blau-Uniformierten mit grünem Mundschutz über das Pflaster uns sammelten zerknüllte Zeitungsreste und andere Spuren von hunderthausenden Besuchern ein. Beseitigen die letzten Spuren einer Nacht, in der Hong Kong sich mit allem Pomp selber feierte.

 

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