Pina statt Apple

Wir Austauschstudenten haben eines gemein: Wir haben hier in Hongkong die ältesten und simpelsten Mobiltelefone. Meines hat ganze 20 Euro gekostet, hat weder Kamera noch Apps, dafür kann es aber mit einer Taschenlampe aufwarten und – hört hört – in chinesischen Schriftzeichen schreiben. Dagegen blitzen in der MTR und auf der Straße Smartphones, Tabletts und sonstiger Hightech-Kommunikationsmittel auf. Ganz vorne dabei ist die Marke mit dem Apfel: Ein iPhone scheint Pflicht zu sein, die Kür ist aber mit drei (heute gesehen) zu hantieren. In der Metro wird dann schnell auf dem iPad noch ein Artikel gelesen, ein Film geschaut oder ein Spiel gezockt – eher ein Accessoire wie eine Tasche, welches man immer an sich trägt und niemals aus den Augen lässt.

Umso erstaunlicher ist, dass es trotz dieser Apfel-Liebe bisher keinen offiziellen Store in ganz Hongkong gab. Gestern öffnete der zweite Store in Shanghai – der insgesamt fünfte in China (originalgetreu gefakte Läden nicht eingerechnet) – und in der konsumwilden Sonderzone, in der sich eine Einkaufsmall an die nächste reiht, sitzen sie auf dem Trockenen? Das muss den Menschen hier auf das Ego geschlagen sein! Aber heute hat Gott ein Erbarmen gehabt und in einer der exklusivsten und teuersten Ecken der Stadt die Tore zum Paradies mit vielen vielen teuren Äpfeln geöffnet. In den letzten Wochen prangte nur eine große Folie am Ort der Niederkunft, welches die Eröffnung in der ifc mall im Central District ankündigte. Noch nichtmal eine Pressemitteilung gab Apple heraus.  Aber ein Plakat reichte aus für einen Ansturm und eine nicht enden wollende Schlange. Eigentlich wollte auch ich mich in die Menge einreihen, in der Hoffnung auf eines der heiß begehrten Eröffnungs-Tshirts. Um etwas anderes ging es mir wirklich nicht, schließlich bin ich mit den Produkten aus Cupertino bereits gut ausgestattet (ein gratis iPad oder auch nur ein iPod hätte ich aber selbstverständlich nicht abgelehnt). Doch leider war halb Neun zwei bis drei Stunden zu spät – die Schlange war bereits immens. Direkt vor dem Store wurden die Wartenden in Zick-Zack-Reihen geführt, weiter ging es durch die Mall nach draußen auf die Fußgängerbrücke, die bis zu den Central Piers am Hafen reichte. Alles in allem waren mir 500 Meter Schlange für neun Uhr morgens doch zu viel – vor allem weil ich recht schnell nach diesem Anblick das rote Apfel-Tshirt abschrieb.

Mein kurzer Spaziergang durch Central endete im Hong Kong Park, einer grünen Oase inmitten des Hochhäuserdschungels. Ausgerüstet mit Latte Macchiato genoss ich Ruhe und Zeitung. Darin erfuhr ich, dass es 3000 T-Shirts zum Verteilen gab und am Tag vor der Eröffnung um 16.30 Uhr schon 19 Personen auf die Eröffnung des Apple-Stores warteten. Dass die chinesische Version von „Deutschland sucht den Superstar“ von den Zensoren der Volksrepublik eingestellt wurde – wahrscheinlich weil die von einem privaten Regionalsender produzierte Sendung mit 400 Millionen (!!!) Zuschauern höhere Quoten hatte als das Staatsfernsehen und eine Show mit einer Wahl durch die Zuschauer nicht ganz ins System passte. Dass einige Bürger in einem Dorf in Guangdong, der Provinz nördlich von Hongkong, nach einem Aufstand gegen die Polizei und die Parteiführung nun Wahlen der Ortsvertreter fordern, damit der Landverkauf gestoppt wird. Oder auch, dass der Papst eine Rede im deutschen Bundestag gehalten hat. Auch der Fall von einer in Hong Kong produzierten Oper über den geistigen Vater der Revolution von 1911 und den ersten Präsidenten der Republik China wurde thematisiert: Die Welturaufführung sollte eigentlich in Peking stattfinden, wurde aber vom Ministerium wegen logistischer Schwierigkeiten kurzfristig abgesagt und auf das nächste Jahr verschoben. Eine politisch motivierte Aktion? Wer weiß das in diesem Lande schon.

Um den Tag nicht gänzlich auf einer Parkbank zu verbringen, ging es später noch in Wim Wenders Film „Pina„, eine Hommage an die Jahrhundert-Choreographin Pina Bausch, die 2009 starb und in ihrer Schaffenszeit das Tanztheater etablierte. Eine sehr sehenswerter Film, der ohne viel Text auskommt, sondern den Tanz und die Elemente in den Mittelpunkt stellt. Wer aus dem Kino herausgeht wird erstaunt sein, welche Stimmungen, Gefühle und Emotionen die Bewegungen einer Person oder einer Gruppe auslösen können – ein ganz großer Film über eine ganz große Frau der Tanzkunst.

Danach, um ca. 15.00 Uhr, war ich im Übrigen nochmals vor dem Apple-Store. Die Schlange war noch immer dort, die Mitarbeiter klatschten immer noch für jeden Kunden – nur die T-Shirts waren aus. Oh Apple, wenigstens in diesem Segment bewahrst du dir deine Exklusivität.

Nach so viel Stadt geht es morgen wieder auf Wandertour – ohne Schlange (hoffentlich auch keine natürliche), ohne iPhone, aber dafür mit einem Apfel in der Tasche.

Ein Kommentar

  1. Das mit den Telefonen ist bei uns in Seoul auch nicht anders. Viele von uns haben Second- oder Thirdhandtelefone zur Leihe, dafür aber mit Kamera.

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