Demokratie oder Beijing? Ein Crashkurs in Hongkong Politics

Ich wohne in Hongkong. Nicht in China. Dort zwischen ist eine Grenze, mit Soldaten und Stacheldraht. Und ohne Visum komme ich auch nicht nach China rein. Hongkong hat seine eigene Verfassung, seine eigene Flagge und sein eigenes Geld. Briefmarken und Post sowieso. 15 Jahre ist es nun fast her, dass Hongkong von den Briten in die Hände Beijings gelegt wurde: Anfang der 1980er Jahre wurden Verhandlungen aufgenommen, die schließlich in der Sino-British Joint Deklaration Dezember 1984 mündeten. Sie zementierte nicht nur die endgültige Übergabe der Kronkolonie, sondern auch die Grundzüge eines zu China gehörenden Hongkongs – bezeichnet als „Ein Land, zwei Systeme“-Politik: Für 50 Jahre wurde und wird Hongkong weitgehende Autonomie zugestanden und das Wirtschaftssystem nicht angetastet.

Auf meine Briefe und Postkarten schreibe ich „Hongkong SAR„: Wir leben hier in einer Special Administrative Region, einer Sonderverwaltungszone. Diesen Status hat auch Macao, welches ein Jahr nach dem Handover von Hongkong von den Portugiesen zurückgegeben wurde. Konkret bedeutet dies, dass alle Angelegenheiten bis auf Außen- und Verteidigungspolitik von der Institutionen in Hongkong verantwortet werden: Finanzen, Kultur, Bildung, Infrastruktur, Umweltschutz, Wirtschafts – und Finanzpolitik sind hier zu nennen. Dort hat Beijing keinen Einfluss. Eigentlich.

Machen wir jedoch eine kurze Bestandsaufnahme, bevor wir über den Einfluss von Beijing auf die Politik in der sieben-Millionen-Einwohnerstadt reden. Das ist gar nicht so einfach, denn das Basic Law, die Verfassung von Hongkong, wird im Bereich des Wahlrechts ständig verändert. Die Grundstruktur jedoch, die die übliche Teilung in Exekutive, Legislative und Judikative mit den jeweiligen Institutionen vorsieht ist aber seit dem Handover nahezu unverändert.

Regierungschef ist der Chief Executive. Er wird von einem Election Committee für fünf Jahre (maximal eine Wiederwahl) gewählt, welches sich aus sektoral gewählten Mitgliedern aus den vier Bereichen mit wiederum 28 Unterkategorien (Industrie, Kommerz, Finanzen; Berufsrichtungen; Religionen, Soziale Dienste; Politik) zusammensetzt. Letztlich ernannt wird er von der Zentralregierung der Volksrepublik in China. Für die kommende Wahl im kommenden Jahr des Chief Executive (der „Wahlkampf“ hat bereits begonnen, es stehen zwei Kandidaten zur Wahl) wurde 2009 die Zahl der Mitglieder nochmals (nach 400 von Nationalkongress bestimmten Mitgliedern im ersten Komitee und 800 bei den letzten Wahlen) auf nun 1200 erhöht. Doch werden dann auch die Mitglieder der District Councils wahlberechtigt sein. Dies führt zu einem größeren Einfluss einer größeren Wählerschaft, da bei den District Wahlen bereits universelles Wahlrecht gilt, während – wie oben zu sehen – durch die sektorale Wahl große Teile der Bevölkerung die aus dem Raster fallen nicht wahlberechtigt sind. Das Basic Law definiert in Artikel 45 das Ziel der demokratischen Entwicklung in Hong Kong, was die Wahl des Chief Executive betrifft: „The method for selecting the Chief Executive shall be specified in the light of the actual situation in the Hong Kong Special Administrative Region and in accordance with the principle of gradual and orderly progress. The ultimate aim is the selection of the Chief Executive by universal suffrage upon nomination by a broadly representative nominating committee in accordance with democratic procedures.“ Es wird sich zeigen, wann dieses letztlich Ziel – das universelle Wahlrecht bei der Wahl des Chief Executive letztlich erreicht wird. Dies hängt zum großen Teil vom Segen Beijings, vor allem des Ständigen Komitees des Nationalkongresses ab, es wird jedoch mit einer Einführung bis 2017 gerechnet. 

Gesetzgebendes Organ von Hongkong ist der Legislative Council (meist kurz LegCo genannt), der aus 60 Mitgliedern besteht, welche für vier Jahre ihr Amt ausüben. Die nächsten Wahlen werden ebenso wie die Wahlen zum Chief Executive im kommenden Jahr stattfinden. 30 Mitglieder werden durch universelles Wahlrecht in abgesteckten Bezirken (Hong Kong Island, Kowloon West, Kowloon East, New Territories West, New Territories East) gewählt. Die restlichen 30 Mitglieder werden – ähnlich wie die sektorale Wahl für das Election Committee des Chief Executive – durch 28 Berufsgruppen gewählt. Dies bringt mit sich, dass in manchen Berufsgruppen nur wenige Personen wahlberechtigt sind: So waren im Bereich „Versicherung“ nur 144 Personen zur Wahl aufgerufen, wovon letztlich 115 einen Abgeordneten in den Legislative Council wählten. Auch für den LegCo wird vom Basic Law (Art. 68) das Ziel eines universellen Wahl für alle Mandate ausgegeben. Wahrscheinlich wird dies zusammen mit dem universal suffrage zur Wahl des Chief Executive durch den Nationalkongress eingeräumt. Bei der nächsten Wahl 2012 wird der LegCo um 10 Sitze erweitert, wobei weiterhin 35:35 Verhältnis zwischen geographisch und sektoral gewählt wird, wobei der Hinzugewinn bei letzteren auf die fünf „Super Seats“ aus den District Councils zugute kommt.

Der Court of Final Appeal ist das höchste Gericht in Hongkong und setzt sich aus ständigen und nichtständigen Mitgliedern aus Ländern des Common Laws zusammen, welche vom Chief Executive ernannt werden. Ihm obliegt die Auslegung aller Gesetze mit Anwendung in Hongkong, bis auf das Basic Law. Die Interpretation der Verfassung übernimmt das Ständige Komitee des Nationalkongresses der Volksrepublik China, welches sich aus 150 Mitgliedern zusammensetzt (CCP-Mitglieder oder der Partei treu ergeben).

Der Einfluss von Beijing und der Kommunistischen Partei (CCP) ist ein ominöser Schleier über dem Hongkonger System. Jeder spürt ihn, doch niemand weiß so recht, wo und wann er stattfindet. Während bei der ersten Wahl des Chief Executive die Mitglieder des Wahlkomitees von Beijing handverlesen waren und damit der gesamte Bewerberprozess gelenkt werden konnte, so spielt sich heute der Einfluss indirekter ab. Wie zu sehen hat es das der Nationalkongress in der Hand Hongkong allgemeines Wahlrecht zu gewähren. Der Weg dorthin scheint weiter als 1997 angenommen, dennoch scheinen die Zeichen nach den letzten Änderungen in diesem Jahr und die veränderten Regel für die LegCo-Wahl im kommenden Jahr für ein universal suffrage bei Wahlen zum Chief Executive und zum LegCo gut zu stehen. Allgemein rechnet man damit noch in diesem Jahrzehnt. Mit einer Einführung der Vollwahl wird auch die Wahl nach Sektoren (bspw. nach Berufsgruppen) wegfallen. Dies scheint momentan noch der mächtigste Hebel Beijings zu sein: Der Hong Konger hat manchmal durch die für westliche Gemüter merkwürdige Wahl den Eindruck, von Wirtschafts- und Finanzeliten regiert zu werden, anstatt von gewählten Volksvertretern. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass diese eher pro-Beijing agieren, um Zugang zum riesigen Chinesischen Markt nicht zu verspielen. Aber diese Verflechtungen sind nur sehr schwer nachzuweisen, der Einfluss der Zentrale bleibt im Dunkeln.

Warum schreibe ich aber gerade heute von Demokratie (oder sagen wir besser: dem Streben danach)? Gestern fanden in Hongkong Wahlen für die District Councils statt, in etwa Stadtteilräte. Nie zuvor traten so viele Kandidaten und so viele Parteien an: Über 830 Frauen und Männer (viele, wenn man nach den Wahlplakaten ausgeht, aus dem Altersbereich unter 40) bewarben sich auf 336 Sitze in den 18 Räten. 76 weitere Sitze werden ohne mehre MitbewerberInnen vergeben. Die Räte werden auch dem nächsten Executive Council angehören, der im nächsten Jahr zusammentritt, um den neuen Chief Executive (Regierungschef) zu wählen. Außerdem im nächsten Jahr stehen die Wahlen zum Legislative Council an, bei der fünf Super Seats an die gewählten Räte vergeben werden, wobei ein allgemeines Wahlrecht für 3,55 Millionen registrierte Wähler besteht.

Erstmals in der Geschichte von Hong Kong haben damit die Bürger indirekt Einfluss, wer im nächsten Jahr der Regierungschef wird. Die Entwicklung geht nicht von oben aus, sondern von den Wahlen auf unterster Ebene. Sie werden zeigen, ob Hong Kong bereit ist einen erneuten Schritt in Richtung Demokratie zu nehmen: „As we move towards universal suffrage, we should show that we treasure the voting rights we already have. All politics starts locally, including aspirations for full democracy.“ Es kommt auf die Bürgerinnen und Bürger an: Sie müssen wir Änderungen kämpfen, wie sie das in der Vergangenheit bereits getan haben und Parteien wählen, die nach universal suffrage streben. Vor allen Dingen müssen sie aber beweisen, dass ihnen der Schatz – das Wahlrecht – etwas wert ist. Die Wahlbeteiligung liegt nach ersten Zahlen über denen vor vier Jahren bei ca. 40 Prozent. Es liegt in euren Händen, macht Demokratie Wirklichkeit!

Anmerkung: Die Wahlergebnisse und das Turnout können unter folgender Adresse eingesehen werden: http://www.elections.gov.hk/dc2011/eng/index.html 

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