Was ein Aktionsplan für Vielfalt leisten muss

Der Arbeit am Aktionsplan für Vielfalt und Gleichstellung nimmt langsam Fahrt auf. Für mich ist es das zentrale Element der Landesregierung im Bereich LSBT, welcher in den vergangene Jahren nahezu tabu war.  Was kann ein solcher umfassen, was kann er leisten? Der Versuch einer Inhaltsbestimmung. Verbunden mit der Erkenntnis, dass Aktionsplan nicht alles ist: Wir müssen endlich beginnen, uns im Land besser zu vernetzen und auszutauschen. 

Baden-Württemberg macht sich langsam auf die Rote Laterne bei queerer Politik abzulegen: Nach schwarz-gelben Jahren, bei denen Ministern, die mit Lesben und Schwulen sympathisierten schnell der Rücktritt folgte, erfolgte innerhalb der ersten hundert Tagen bereits die Änderung des Personenstandsrechts, ebenso ist die Gleichstellung im Beamtenrecht auf dem Weg. Doch diese Punkte sind nur Vorläufer zum größten Projekt in diesem Politikbereich: Der Erstellung und Umsetzung eines Aktionsplans für Vielfalt und Gleichstellung, auf den sich Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag verständigt haben. Nach Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz wäre Baden-Württemberg erst das vierte Bundesland, welches ressortübergreifend Maßnahmen in einem Aktionsplan bündelt. Was muss ein solcher Katalog umfassen, was kann er leisten, was kann sich das Land leisten?

Für mich essentiell ist die Förderung im Bereich Bildung, Schule und Jugend: Nirgendwo sonst zementieren sich Vorurteile so stark, nirgendwo sonst lassen sich aber auch Toleranz und Akzeptanz besser lehren und vermitteln. Ziel muss es sein Diskriminierung von homosexuellen Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern zu bekämpfen und stattdessen eine Schule zu vertreten, in der jeder seinen Platz hat, in der offen auch über die sexuelle Orientierung geredet wird und welche Vielfalt als ein Markenzeichen sieht. Es darf keine Schülerin und keinen Schüler geben, der beim Verlassen der Schule nicht über die Frage, was eigentlich „normal“ ist gesprochen und nicht über sexuelle Orientierung und Vielfalt diskutiert hat. Dies ist nicht nur eine Frage für den Biologie-Unterricht, sondern auch für Ethik oder Gemeinschaftskunde! Lehrerinnen und Lehrer müssen im Rahmen ihrer Ausbildung oder durch Weiterbildung im offenen Umgang mit dem Thema geschult werden, Lehrpläne müssen ergänzt und Verantwortliche in den Schulen und Bildungseinrichtungen sensibilisiert werden bei Mobbing oder Diskriminierung einzuschreiten und zu handeln. Schwul-lesbische Aufklärungsprojekte, welche in die Schulen hinein gehen, bei denen Schülerinnen und Schüler mit Lesben und Schwulen ins Gespräch kommen müssen finanziell und organisatorische unterstützt werden. Lesben, Schwule und gleichgeschlechtliche Paare müssen auch endlich Einzug in die baden-württembergischen Schulbücher halten: Hier ist mit den Schulbuchverlagen eine Diskussion zu führen, wie dies bei Neuauflagen und Neuerscheinungen in welchem Umfang und welcher Art und Weise geschehen kann.

In der Landesregierung bzw. der Verwaltung müssen klar erkennbare AnsprechpartnerInnen bei Diskriminierung und Verantwortliche im Bereich LSBT benannt werden. Eine Evaluation von geförderten Projekten muss zu deren Aufgabe gehören, ebenso wie die Erstellung eines Jahresberichtes, in dem auch auf homophobe Taten eingegangen wird. Auch Öffentlichkeitsarbeit, die Vermittlung von Ressourcen, die Hilfe bei Anträgen auf Förderung und allgemein die Koordination auf politischer Ebene , auch zwischen den beteiligten Ministerien, muss bei dieser oder diesem Beauftragen für sexuelle Vielfalt beheimatet sein.

Sensibilisierung gegenüber anderen Lebensweisen muss auch bei der Integrationspolitik im Land eine Rolle spielen. Studien belegen, dass bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund homophobe Denkweisen verstärkt zu finden sind. Hier ist das Integrationsministerium gefragt Maßnahmen zu entwickeln, um Vorurteile abzubauen. Dazu gehört aber auch homosexuelle Migratinnen und Migranten mit Hilfsangeboten und Wegweisungen zu unterstützen

Nicht alleine ein Thema für Schwule und Lesben, aber trotzdem im Rahmen des Aktionsplans zu Berücksichtigen ist die Förderung der Aids/HIV-Aufklärung und entsprechender Hilfsangebote. Auch gibt es in großen Städten, die logischerweise mit ihrer Szene Anziehungspunkte für Lesben, Schwule und Transgender aus dem ländlichen Umland sind, nur wenige psychologische Angebote und Treffpunkte. Hier muss das Land die Voraussetzungen schaffen, dass Initiativen und Projekte vor Ort Landesmittel zur Verfügung gestellt bekommen, damit ein solches Angebot aufgebaut werden kann.

Im Bereich der schwul-lesbischen Infrastruktur haben wir in Baden-Württemberg tolle Initiativen und Organisationen, welche sich für Lesben, Schwule und Transgender einsetzen. Diese gilt es zu stärken. Was uns aber fehlt sind städte- und regionenübergreifende Strukturen, die als Ansprechpartner für Politik oder neue Initiativen bereit stehen. QueerNet Rheinland-Pfalz oder dem schwulen Netzwerk NRW bzw. der LAG Lesben NRW sind hier Beispiele solcher Gruppen. Hier sind wir gefragt, die bereits im kommunalen Bereich tätig sind uns endlich über den kommunalen Tellerrand zu wagen und Strukturen zur Koordinierung und zum Lobbying aufzubauen. Das kann kein Aktionsplan, keine Partei oder Regierung initiieren, dies muss von den engagierten Menschen im Land kommen.

Es führt nicht daran vorbei, dass für einen Aktionsplan Gelder aus dem Landeshaushalt bereit gestellt werden. Doch machen wir uns nichts vor: In den nächsten Jahren kommen gewaltige Sparanstrengungen auf das Land zu, um den Haushalt zu sanieren und zum Ende des Jahrzehnts die gesetzlich vorgeschriebene Schuldenbremse einzuhalten. Lippenbekenntnisse, Grußworte und Solidaritätsbekundungen reichen aber eben nicht aus: Viele Projekte im Land sind dringend auf den ein oder anderen Euro mehr angewiesen, um neue Strukturen aufzubauen braucht es ebenso – vor allem in der Anfangszeit – Gelder. Auch deshalb brauchen LSBT auf Landesebene eine Struktur, die kurzfristig die Lobby- und Koordinationsarbeit übernimmt, langfristig aber eigenverantwortlich Aufgaben, wie die Auswahl von Förderprojekten, Koordination etc. übertragen werden. Die Rote Laterne abzuwerfen ist nämlich nicht nur Arbeit der Regierung und der Parteien, sondern von uns allen!

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