Wie soll man das erklären?

Ich gebe es zu: Im Wahlkampf war ich gegen die Brücke. Ich bin es noch immer. Sie ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg, überteuert, Naturraum zerstörend. Und deshalb kann ich nicht einfach über die Entscheidung der Verhandlungskommission in Rheinland-Pfalz hinweggehen und political business as usual vorführen. Dies dürfte kein Grüner in Rheinland-Pfalz, denn gerade durch das Verhalten nach einem Kompromiss zeigt sich, ob man glaubwürdig war und ist.

Für alle, welche beim Thema Hochmoselübergang nicht auf dem Laufenden sind:

Dies sagt das grüne Wahlprogramm in der Zusammenfassung aus:

Das Projekt ist verkehrspolitisch unsinnig und ökologisch verheerend., wir GRÜNE lehnen den Hochmoselübergang entschieden ab. Diese bedeutende, vom Tourismus und dem Weinbau geprägte Region ist in ihrer einzigartigen Attraktivität gefährdet und damit existentiell bedroht. Wir wollen alle politischen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Bau des Hochmoselübergangs zu verhindern.

Nicht müde wurden zahlreiche Helferinnen und Helfer an den Wahlständen, vom Spitzenduo bis zur Basis, zu betonen, dass es mit den Grünen kein „Weiter“ bei der Mega-Brücke über gute Weinlagen im Moseltal geben würde. Noch heute läuft im Unterstützerband der Bürgerinitiative Pro Mosel (www.pro-mosel.de) der Name von Eveline Lemke vorbei, welche im Kabinett nun das Wirtschaftsressort übernehmen wird. Noch vorgestern riefen die Grünen Cochem-Zell über ihren Twitter-Account zur Unterzeichnung der Petition beim rheinland-pfälzischen Bürgerbeauftragten zum Stopp des Projektes auf. Die enge Verzahnung von Projektgegnern und Partei – sie wird besonders tiefe Wunden aufreißen.

Denn was die zukünftigen Koalitionäre vorgestern ankündigten ist nicht mehr und nicht weniger als ein Schlag ins Gesicht aller Gegner: Die eine Brücke kommt. Der Hochmoselübergang wird weitergebaut, dafür die Mittelrheinbrücke auf Eis gelegt. Auch wenn solche Kompromisse in Koalitionen von Nöten sind, ist dieser nur schwer verdaulich. Ähnlich wie bei Stuttgart 21 waren die Grünen die politischen Stimmungsträger des Widerstandes, waren es alleinig bündnisgrüne Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker, die sich aktiv am Protest beteiligten. Ähnlich waren auch die Gründe für die Kritik an beiden Projekten: Mangelnde Bürgerbeteiligung, horrende Kosten, schwerwiegende Eingriffe in die Umwelt. Aber anders als im Ländle wurde der Konflikt in Rheinland-Pfalz durch die normalen Koalitionsmechanismen gelöst und nicht durch eine Verlagerung der Verantwortlichkeit auf das Wahlvolk (sollte der Stresstest, grüne Komponente am S21-Koalitionspaket wider Erwarten zu keinen Mehrkosten führen). In Baden-Württemberg gibt es (noch) keine politischen Verlierer, an Mosel und Rhein sind diese eindeutig die Grünen. Grüne als Bauherren von S21? In Stuttgart unmöglich, außer wenn das Volk sie drängt. Im Land der Reben dagegen werden die Grünen durch die SPD an die Hebel der Bagger und Betonmischer gedrängt.

Wie umgehen mit diesem Zeichen der Unglaubwürdigkeit? Wie umgehen mit einer solchen Niederlage bei einer solch eindeutig propagierten Position? Zunächst ist festzustellen: Das Leben braucht Kompromisse. Sie sind zentral für unser Zusammenleben, egal ob in Familie, im Freundeskreis oder in der Politik. Sie schaffen Ausgleich von extremen Positionen und verhindert eine Tyrannei der relativen Mehrheit. Ludwig Erhard hat einmal das Bonmot gesagt: Einen guten Kompromiss zu schließen ist die Fähigkeit einen Kuchen so zu teilen, dass jeder glaubt er habe das größte Stück. Bei dem Hochmoselübergang gab es kein mehr oder weniger – nur ja oder nein. Und die Grünen stehen mit nichts da. Einen Kompromiss einzugehen ist nichts verwerfliches, aber ein Kompromiss bei einem Thema, zu dem man eine Position als absolut verkauft hat ist schädigend bis fahrlässig, wirft man doch zentrale Forderungen über Bord. Wir Grüne müssen uns fragen, ob unsere Position zu jederzeit klar war – uns selbst und gegenüber der Öffentlichkeit. Man hätte früher darauf kommen können, dass ein Stopp ein Haushaltsloch aufreißen würde, dass Verträge längst beschlossen seien oder das künftige stärkere Koalitionspartner das Projekt unbedingt wollten – dies alles wurde wenn nur leise gesagt.

Was daraus lernen? Die Brücke wird gebaut. Sie wird jetzt jedem Grünen noch schmerzhafter  aufsitzen. Es hätte im Wahlkampf klarer sein müssen, dass Grün alleine nicht den Stopp erreichen vermag. Man macht kein 80 %-Wahlprogramm, aber eben auch kein 120%. Die Beschlüsse für die Brücke wurden bereits lange vorher gefällt, die Brücke ist in Ansätzen bereits im Bau. Mit grüner Beteiligung in den Anfängen wäre es vermutlich nie zur Brücke gekommen, siehe nun Mittelrheinbrücke. Viele andere Forderungen konnten ebenfalls nicht durchgesetzt werden – auf beiden Seiten. Dennoch ist in diesem Fall der Sturm der Entrüstung groß, denn die Entscheidung beim Hochmoselübergang wiegt schwerer. Eben weil die Forderung nach dem Aus im Wahlkampf absolut erschien (ähnlich wie man es bei den Grünen bspw. zum Atomausstieg vermuten würde). Zu sehr hatten sich Bündnisgrüne mit der Bürgerinitiative verwoben, zu wenig Bremsung erfuhr der grüne Wagen: Parteien sind keine Interessenverbände, welche nur einen Ausgleich nach innen vertragen müssen. Sie müssen den oft halsbrecherischen Akt eines Ausgleichs mit anderen Parteien im Außenverhältnis anstreben. Dadurch entsteht Unglaubwürdigkeit, aber es ist ein Wesen unseres Systems. Aber bei dieser Brücke ist davon einiges davon hausgemacht.

Wenn nun das Aus für die Hochmoselbrücke wirklich eine absolute Forderung der Grünen war und ist, muss das Nein zum Koalitionsvertrag stehen. Sollte sie es nicht sein, muss dringend über die Vermittlung von Forderungen geredet werden und das Verhältnis zu Interessengruppen. Am Sonntag hat die Basis die Wahl.

PS: Meine Meinung steht noch immer: Ein wenig mehr Transparenz hätte gut getan und üble Nachrede vielleicht verhindert.

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